arte Tracks Spike Lee Wir haben das ja schon immer gewusst…

Wissenschaft, Urheberrecht und der ganze Rest (Teil1)

Es wird ja oftmals so getan, als wären vor allem die Raubkopierer bzw. Filesharing generell das größte Problem, dass durch die Novelle des Urheberrechts "bekämpft" werden soll.

Ein ganz anderer (und viel wichtigerer) Bereich ist allerdings das Bibliothekswesen, im speziellen die wissenschaftlichen Bibliotheken.

Die folgenden Schilderungen sind in den interessierten Kreisen ein alter Hut. Ich habe allerdings die vage Ahnung, dass die Problematik an den größten Teilen der Öffentlichkeit vorbeigeht; deshalb die folgenden Ausführungen und die Warnung an Experten: Hier kommt nix Neues!

Seit Jahren muss man Horrormeldungen lesen, von Bibliotheken, die geschlossen werden, Etats die eingedampft werden, Fachzeitschriften, deren Abos gekündigt werden, aktuelle Lehr- und Fachbücher, die überhaupt nicht mehr angeschafft werden.
Jeder, der in den letzten Jahren mit dem universitären Betrieb zu tun hatte, weiss wovon ich schreibe.

Der Grund dafür liegt in einer wissenschaftlichen Publikationspraxis, die seit Jahren nur einen Gewinner kennt:

1) Der Wissenschaftler forscht an seinem Lehrstuhl fröhlich vor sich hin. Um zu wissen, woran die Kollegen weltweit sitzen und auch um seine Forschung selbst betreiben zu können, muss er auf dem aktuellsten Stand seiner Disziplin sein. Ergo: Der Wissenschaftler benötigt die aktuellsten Publikationen aus seinem Fachbereich. [Im Hinterkopf bitte über die Frage nachdenken: Wer bezahlt den Wissenschaftler?]

2) Nun hat der Wissenschaftler eine Forschung abgeschlossen. Die Ergebnisse werden vielleicht nicht die Welt verändern, die Experten weltweit werden jedoch (vielleicht) den Wert seiner Arbeit erkennen, in die eigenen Forschungen einfliessen lassen oder darauf aufbauen.

3) Die Forschungsergebnisse müssen also "unter die Leut" gebracht werden, sprich: publiziert werden. Dies erfolgt in wissenschaftlichen Fachmagazinen.
Hier betreten wir nun die für Laien gänzlich wunderliche Welt der wissenschaftlichen Fachpublikationen:
Für jede wissenschaftliche Disziplin haben sich in den letzten Jahrzehnten Publikationen herausgebildet, die als "Must have" gelten, auf die also einerseits kein Wissenschaftler verzichten kann und die andererseits sehr Renommee-steigernd für die dort publizierten Wissenschaftler sind.
Die Aufnahme eines wissenschaftlichen Fachartikel erfolgt über die sogenannte "Peer Review": Das Manuskript des Wissenschaftlers wird (meist anonymisiert) an Kollegen des gleichen Fachbereichs zur Prüfung gegeben; erst wenn diese Experten "Daumen hoch" geben, wird der Artikel veröffentlicht.
Die Experten der "Peer Review"-Gruppe werden für diese Arbeit in der Regel nicht bezahlt; schliesslich kommt es schon einer Auszeichnung gleich, dass sie vom Verlag für diese Aufgabe ausgewählt werden. Macht sich gut im Lebenslauf!
Für den Wissenschaftler, der einen Artikel publizieren möchte, gilt in der Regel sogar, dass er dafür zahlen muss, sollte sein Artikel bewilligt und publiziert werden. Schliesslich ist die Veröffentlichung eines Fachartikels in einer wichtigen Fachzeitschrift enorm renommee-steigernd; im Grunde bemisst sich sogar der berufliche Erfolg eines Akademikers an seinen Publikationen.

4) Der Fachartikel erscheint nun also in einer der relevanten Fachzeitschriften. Die zwei größten Fachverlage für wissenschaftliche Zeitschriften sind der Springer Verlag (Nein, nicht der mit der BILD…) und ReedElsevier.
Wie bereits oben erwähnt ist es in manchen wissenschaftlichen Disziplinen unabdingbar, auf dem aktuellsten Stand der Forschung zu sein. Das heisst: Die jeweils relevante Fachzeitschrift muss an den Instituten abonniert sein. Das heisst: Die Verlage können verlangen, was sie wollen.
Fünfstellige Dollarbeträge für ein Jahresabo einer viermal im Jahr erscheinenden Fachzeitschrift sind keine Seltenheit, sondern (gerade in der Medizin) die Regel.
[Im Hinterkopf bitte über die Frage nachdenken: Wer bezahlt den Etat der wissenschaftlichen Bibliotheken?]

So verwundert auch kaum der desolate Zustand der deutschen Universitätsbibliotheken: Deren Etat lag 1997 lediglich 1,3 Prozent über dem von 1991. Im gleichen Zeitraum stiegen die Abokosten in des Sozial- und Geisteswissenschaften um 27 Prozent, in den Natur- und Ingenieurwissenschaften um 77 Prozent.*

Ebenso wenig verwundert die Meldung aus dem gestrigen heise-Ticker:
Die Umsatzsteigerungen haben sich beschleunigt, die Betriebsergebnisse haben sich weiter verbessert, "and cash generation is strong" – mit diesen Worten fasst der Vorstand der britisch-holländischen Verlagsgruppe Reed Elsevier das Ergebnis des Geschäftsjahrs 2005 für die am Mittwoch dieser Woche stattfindende Hauptversammlung in Amsterdam zusammen. Der weltweit operierende Konzern mit 36.000 Beschäftigten steigerte seinen Umsatz um 7 Prozent auf 7,54 Milliarden Euro, den Gewinn vor Steuern um 9 Prozent auf 1,02 Milliarden Euro und die Kapitalverzinsung pro Aktie um 11 Prozent.

Bei einer Doppelfinanzierung durch die (meist) öffentliche Hand also kein Wunder.

Im nächsten Teil: Was hat das mit dem Urheberrecht zu tun? und: Lösungsansatz Open Access





* vgl.: Passek, Oliver: Open Access. Freie Erkenntnis für freie Wissenschaft. In: Lehmann, Kai; Michael Schetsche (Hrsg.): Die Google-Gesellschaft. Vom digitalen Wandel des Wissens. Bielefeld, 2005

20. April 2006 um 0:26 Uhr von symyp

Eingetragen unter: CreativeCommons, Netzkultur

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